Konzepte kollektiver Heilserwartung

Konzepte kollektiver Heilserwartung

Warum bedarf es einer gläubigen Gemeinde, der Vergemeinschaftung im Glauben? Warum genügt es nicht, dass jeder Gläubige dem Göttlichen unmittelbar gegenübertritt? Offenkundig sind Menschen soziale Wesen, bedürfen für ihr Überleben der Gemeinschaft mit anderen. Es liegt nahe, dass auch der Glaube soziale Gestalt annimmt. Zudem: Offenbarung ist ein punktuelles historisches Ereignis und als solches nicht ständig unmittelbar gegenwärtig. Jeder, der nicht in zeitlicher und räumlicher Unmittelbarkeit dazu lebt, braucht die Vermittlung durch andere, wenn er Zugang zu den Worten, Lehren, Heilstaten des Offenbarungsträgers haben will. Wo also Offenbarung dauerhaft das Leben der Menschen prägen soll, da bedarf es eines generationsübergreifenden sozialen Rahmens, einer Gemeinde.

Nun sind soziale Gemeinschaften von Menschen – unabhängig davon, von wem und wozu sie gestiftet sind – genau das: Gemeinschaften von Menschen. Daraus ergibt sich ein Problem: Die Erwartungen, die von den Gläubigen an die Gemeinde herangetragen werden, sind übermenschlich. Die Diskrepanz zwischen Erwartung und sozialer Realität ist unvermeidlich. Die Reflexion historischer Erfahrungen kann hier erhellend sein. Dieser Essay will einige der Erwartungen und Ansprüche vergegenwärtigen, die mit traditionellen Gemeindevorstellungen verbunden sind.