Vor gut 200 Jahren, am 12. November 1817, wurde in Teheran (Iran) Mirza Hussein Ali, der Religionsstifter Baha’u’llah, geboren. Zunächst als Anhänger des Bab (1819–1850) verfolgt, hatte er im Kerker von Teheran sein Erweckungserlebnis (1852). Sein gesamtes weiteres Leben verbrachte Baha’u’llah in Haft und Verbannung. Ab 1863 verkündete er, der vom Bab Verheißene und der in vielen Religionen erwartete endzeitliche Gottesbote zu sein.
Infolge der Beschränkungen durch Haft und Verbannung wirkte Baha’u’llah vor allem durch sein umfangreiches Schrifttum. Seine Lehren wenden sich vor allem an den Einzelnen, aber auch an die Gesellschaft. Mensch und Menschheit sieht Baha’u’llah auf dem (mühsamen) Weg zur Mündigkeit, zu ethisch verantwortbarem und eigenverantwortlichem Handeln. Neben ethischen Grundtugenden, die sich in allen Religionen finden (Nächstenliebe, Vertrauenswürdigkeit, Gerechtigkeitsliebe, Geduld, Demut usw.), ist es vor allem die selbständige Suche nach Wahrheit, um die sich jeder Mensch unablässig mühen soll. Unabdingbar dafür ist eine erkenntnistheoretische und ethische Grundhaltung. Der konstruktive Gebrauch der Vernunft ist die gesellschaftlich-politische Basistugend, auf der Baha’u’llahs Vision der Menschheit aufbaut. Für Baha’u’llah ist die Einheit der Menschheit eine metaphysische Tatsache. Heute kommt es darauf an, sie schrittweise empirische Realität werden zu lassen. Frieden und Gerechtigkeit sind deshalb vorrangige Ziele. Angesichts der Multipolarität der Interessen mahnt Baha’u’llah die Staaten zu Vereinbarungen und institutionellen Strukturen auf diesem Weg. Diese Prozesse müssen von einem grundsätzlichen Wandel des Denkens begleitet werden: Rassenvorurteile und Nationalismus (und andere Ideologien, die sich seitdem etabliert haben), die Unterdrückung und Ungleichbehandlung der Frauen, die Hinnahme eklatant unterschiedlicher Lebensverhältnisse (bis hin zu Hunger und Verelendung) in verschiedenen Teilen der Welt, religiös motivierte Feindschaft und die Herabwürdigung anderer Religionen – sind sämtlich ein auf uns überkommenes Erbe, das der Einheit im Wege steht.
Der Mensch ist für Baha’u’llah ein primär spirituelles Wesen. Die Ausrichtung auf die Transzendenz ermöglicht ihm, über Gewohnheiten, Traditionen und materielle Interessen hinauszuwachsen und so diesen tiefgreifenden Umbruch hin zu einer Einheit in Vielfalt zu bewältigen. Religion in diesem Sinne will nicht dogmatische Abschottung, sondern Zukunftsfähigkeit und geistige Entwicklung. Gleichzeitig mahnte Baha’u’llah seine Anhänger, sich nicht als „besser“, „erlöster“ oder „klüger“ zu verstehen, sondern als integralen Bestandteil und Diener der Schicksalsgemeinschaft „Menschheit“.
Foto: Rohrfedern des Sekretärs Baha’u’llahs, British Museum 2017 (by Bahá’í World News Service)